Zur Geschichte der Stereokamera

Eine Schilderung aus der Frühgeschichte der Stereoskopie unter besonderer Berücksichtigung deutscher Erzeugnisse. Von Prof. Dr. Erich Stenger

Allgemeines.

Es ist dem neuzeitlichen Stereoskopiker eine Selbstverständlichkeit, bei seinen gängigere Stereoaufnahmen eine Kamera mit zwei in die Kamera eingebauten Objektiven (oder im gelegentlichen Ausnahmefall eine gewöhnliche Kamera in Verbindung mit einem, diese beiden Objektive ersetzenden optischen Hilfsmittel) zu benützen, und es erscheint ihm undenkbar, daß es Zeiten gab, in welchen der Gedanke der Verwendung einer solchen Kamera entweder noch nicht gefaßt war oder abwegig erschien; und doch war es so, daß die eigentliche Stereokamera als besondere Erfindung entstand, die nur ganz langsam Boden gewinnen konnte.

Blättern wir im älteren oder neueren Schrifttum über das photographische Sondergebiet der plastisch wirkenden Aufnahmen, so finden wir wohl an sehr vielen Stellen die ausführlichsten Schilderungen der Geschichte des Betrachtungsapparates „Stereoskop", jedoch nur selten einen Hinweis auf die geschichtliche Entstehung der Zweiobjektiv„Stereokamera".

Wir wissen, daß Professor Moser in Königsberg,/Pr. im Jahre 1841 der Erste war, der mit Hilfe der Daguerreotypie Stereobilder in wissenschaftlichem Sinn herstellte, ebenso daß im gleichen Jahre in Paris bereits sogen. „Akademien" gefertigt wurden (E. Stenger, Das Raumbild, 1. 1935, S. 235 u. 236) und C. Co1lins und Wheatstone in der 2. Hälfte des gleichen Jahres die ersten Stereopapierbilder schufen (H. Bäckström, Das Raumbild, 2. 1936, S. 28); jedoch wir haben nur eine wenig verbreitete Kenntnis davon, wie die unzähligen plastisch wirkenden Photographien in der beginnenden zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entstanden, in einer Zeit, die photographisch durch die „Stereoskopomanie" ein besonderes Kennzeichen erlangte.


Die früheste Aufnahmetechnik.

Der Anfang der praktischen Photographie liegt im Jahre 1839; wir sahen, daß schon bald darauf das erste photographische Stereobild entstand, aus dem bald ein beliebter und weit verbreiteter Handelsartikel wurde. Die nichtkopierbare Einzelaufnahmen erzeugende Daguerreotypie wurde durch das in Massenauflagen vom Papier- oder Glasnegativ abgezogene Papierbild abgelöst. Betrachtet man diese frühen Bilder, so fällt die oft kaum mehr erträgliche Überplastik auf, die leicht erklärlich ist, wenn man die damals gültige Meinung über die einzuhaltenden Aufnahmebedingungen kennenlernt. So schreibt z. B. Dr. A. Weiske in seinem weit verbreiteten „Handbuch des Pannotypisten" (Leipzig, 1859, S. 27-28), ebenso wie viele andere vor und nach ihm:

„Die Anfertigung der stereoskopischen Ansichten geschieht einfach auf folgende Weise: So wie die beiden Augen im menschlichen Angesichte gleichsam jedes einer Camera obscura gleichen, welche verschiedene stereoskopische Ansichten eines und desselben Gegenstandes auf den beiden Netzhäuten entwerfen, so kann man auch zwei obscure Kammern gleichzeitig auf denselben Gegenstand gerichtet nebeneinander aufstellen und so zwei Bilder desselben auf einmal anfertigen, welche beide ebenso voneinander verschieden sein werden, wie die Ansichten des Gegenstandes mit dem rechten oder mit dem linken Auge allein. Nun sind freilich die beiden Augen im Antlitze nur etwa 2 1/2 Zoll von einander entfernt, und so nähe kann man doch die Objektive und die in jeder der obscuren Kammern befindlichen präparirten Platten einander nicht bringen, allein es ist dies durchaus gar kein Nachtheil, sondern es ist vielmehr nöthig, daß man den Objektiven eine größere Entfernung von einander gibt, als die Augen haben, wenn der stereoskopische Effect in den erhaltenen Bildern recht deutlich hervortreten soll. Wenn man z. B. die obscuren Kammern zehnmal 2 1/2 Zoll, also 25 Zoll weit von einander aufstellt, so erhält man zwei Ansichten, die ein Bild des Gegenstandes liefern, wie man ihn erblicken würde, wenn die Augen im Kopfe 25 Zoll weit von einander stünden. Nun ist es 'klar, daß je weiter die Augen von einander entfernt wären, desto auffallender und deutlicher uns auch die Körperlichkeit der Gegenstände erscheinen würde. (Abb. 1 nach E. Robiquet, Manuel de Photographie, Paris 1859, S. 290.)

Je entfernter der Gegenstand ist, von welchem der Photograph zwei stereoskopische Ansichten fertigen will, desto weiter muß er die beiden obscuren Kammern von einander aufstellen; bei landschaftlichem Gegenstand muß die Entfernung 10, 20, oft noch mehr Schritt betragen. Doch muß man sich hüten die Entfernung zu groß zu nehmen, weil alsdann, wenn man die Ansichten in das Stereoskop bringt, der stereoskopische Effect übertrieben erscheint, d. h. die vorspringenden Theile des Gegenstandes, z. B. bei einer Statue die Nase und ähnliche Partien springen zu weit hervor und der Gegenstand erscheint verzerrt und carikirt. Will man von leblosen Gegenständen oder von Objecten, welche längere Zeit hindurch unverändert dieselbe Stellung beibehalten können, stereoskopische Ansichten anfertigen, so braucht man nicht zwei nebeneinander aufgestellte obscure Kammern, sondern es genügt, daß man mit einer Camera obscura erst die eine Ansicht anfertigt, und sie dann um die nöthige Entfernung zur Seite rückt, um die andere Ansicht zu erhalten. (Abb. 2 nach H. de La Blanchere, Monographie du Stereoscope, Paris (1862) S. 181.) Gänzlich falsch ist es aber, wenn man, wie ich es zuweilen bei Photographen gesehen habe , die Camera obscura ruhig stehen läßt und von ein und dem selben Standpunkte aus zwei ganz gleiche Ansichten desselben Gegenstandes fertigt; denn bringt man diese in das Stereoskop, so kann unmöglich die stereoskopische Täuschung eintreten und die Gegenstände werden nicht in einem genügenden Relief erscheinen."

So also war die maßgebliche Ansicht eitles Lehrbuches von 1859, 20 Jahre nach Erfindung der Photographie, wie ein plastisch wirkendes Lichtbild zu erzeugen sei, und diese Ansicht wurde von den meisten Zeitgenossen geteilt und kann in zahlreichen Lehrbüchern der verschiedenen Sprachen in jener Zeitspanne gefunden werden.

In den Jahren 1854 - 1857 wurde zur Herstellung stereoskopischer Porträtaufnahmen allgemein folgende Anordnung (Julius Krüger, Vademecum des praktischen Photographen, 1857, S. 201) empfohlen:
„Bei drei Meter Distanz der Personen von den Apparaten sollen letztere selbst 79 Centimeter voneinander abstehen. Dies steigt nach der Entfernung der Objektive von der zu photographirenden Person, so daß bei sechs Meter Distanz die Entfernung das Doppelte, also 158 Centimeter, und bei zwölf Meter Distanz das Dreifache beträgt. Bei tiefen Ansichten (von Sälen, Straßen u. dergl.) findet das Umgekehrte statt, d. h. die Entfernung (der Objektive D. V.) steigt selbst bis zur Größe von 1-2° herab, und die größte Weite beträgt überhaupt nur 15°." (Ebenso auch in A. Martin, Handbuch der gesamten Photographie, 1854, S. 100 und wörtlich wiederholt ebenda 1857; ich hatte bereits früher auf diese eigenartige Arbeitsregel verwiesen; Das Raumbild, 1, 1935, S. 235.)
Diese Angaben stehen in engstem Zusammenhang mit einer Tabelle (oder stammen sogar aus ihr), die der Pariser Optiker Charles Chevalier (Guide de Photographe, Paris 1854, 1. Teil, S. 62) veröffentlicht (und auch in seine Methodes Photographiques Perfectionnees, Paris, September 1859, S. 45 übernommen) hatte (Abb. 3).


Erfindung der Zweiobjektivkamera.

In dankenswerter Weise hat vor einiger Zeit „The British Journal of Photography" (84, 1937, Nr. 4000, S. 1) die Frage nach der Entstehungsgeschichte der stereoskopischen Zweiobjektivkamera zur Erörterung gestellt, als auf das am 14. Januar 1854 erschienene erste Heft dieser Zeitschrift (damals: „The Liverpool Photographic Journal") hingewiesen wurde. In diesem Heft befand sich als besonders beachtenswerte Mitteilung ein Bericht über eine Kamera, „Quintoscop" genannt, die in jener Zeit in Paris gebaut worden und mit zwei Objektiven ausgestattet war; sie sollte ermöglichen, die beiden Stereoskopbilder gleichzeitig auf einer Platte aufzunehmen.

Diese geschichtliche Erinnerung veranlaßte einen Leser der genannten Zeitschrift, den Schriftleiter darauf aufmerksam zu machen (Nr. 4001, S. 32), daß als Erfinder der Zweiobjektivkamera Sir David Brewster (1781 bis 1868) gelten muß, dem die Nacherfindung des Herrn Quinet aus Paris bekannt gewesen sei. Es wird angegeben, daß Brewster selbst zu dem „Quinetoskop" (so lautet der richtige Namen) Stellung genommen hat, dessen Bezeichnung dazu dienen sollte, den Namen des Herrn Quinet, eines Optikers in Paris, unsterblich zu machen.

Im Folgenden soll an Hand des Schrifttums jener Zeit festgestellt und verfolgt werden, wie die Zweiobjektivkamera entstand, in die Stereoskopie eingeführt wurde und sich langsam Geltung verschaffte. Zweifellos kann als Erfinder dieses Aufnahmeapparates nur Brewster gelten, einer der um die Entstehung der photographischen Stereoskopie verdienstvollsten Männer.

Brewsters grundlegende „Beschreibung einer Doppelkamera" (Transact. of Royal Scottish Society of Arts 1849, und an anderen Stellen; dankenswerter Weise hat Prof. M. v. Rohr „Abhandlungen zur Geschichte des Stereoskops" und so auch Brewsters klassische Arbeit in deutscher Sprache herausgegeben, Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften, Nr. 168, 1908, S. 52) enthält die folgenden, auf die photographische Herstellung einwandfrei plastisch wirkender Stereobilder bezüglichen Ausführungen

„Eine fast mathematische Genauigkeit ist dazu nötig und diese kann man nur bei Bildern erhalten, die nach den Verfahren Daguerres und Talbots hergestellt worden sind. Um dies mit der nötigen Genauigkeit auszuführen, müssen wir eine Doppelkamera bauen, die die Bilder zu gleicher Zeit und in gleicher Größe aufnimmt, d. h. eine Kamera mit zwei Linsen gleicher Apertur und Brennweite in der Entfernung der beiden Augen. Da man unmöglich zwei einfache oder achromatische Linsen durch Schleifen und Polieren auf die völlig gleichen Brennweiten bringen kann, auch dann nicht, wenn man für jede genau das gleiche Glas verwendet, so schlage ich vor, die Linsen zu halbieren und das Instrument mit Halblinsen auszurüsten, die uns Bilder von gleicher Größe und Schärfe geben. Diese Linsen sollten so gefaßt werden, daß ihre Schnittlinien einander parallel stehen, und sie sollten einen Abstand von 6,35 cm haben, der der Durchschnittsabstand von Menschenaugen ist; und sie bilden, in einem Kasten von genügender Größe angebracht , eine Doppelkamera, die uns im gleichen Augenblick und mit den gleichen Lichtern und Schatten von Bildsäulen, Gebäuden, Landschaften und lebenden Figuren gleichgroße unähnliche Bilder liefert, die dann im Stereoskop die Objekte in ihrer Körperlichkeit wiedererstehen lassen."

Brewsters zahlreiche Arbeiten aus dem Gebiete der Stereoskopie bezogen sich nicht nur auf die Kamera, sondern auch vor allem auf die Betrachtungsapparate; er war u. a. der Erfinder des Prismenstereoskops. An dieser Stelle sollen seine Forschungen nur in einer Richtung behandelt werden, in der Schaffung der Zweiobjektivkamera mit einem Objektivabstand gleich dem mittleren Augenabstand; es ist also nur von der Entstehungsgeschichte der Stereokamera in der heute gebräuchlichen Form und in ihrer Verwendung zur Aufnahme nahe gelegener Gegenstände die Rede. Brewsters Ausführungen zur Vergrößerung des Objektivabstandes zwecks Erzielung bestimmter optischer Wirkungen oder Ausdehnung der plastischen Bildtiefe sollen hier unbeachtet bleiben.

Brewster legte seine Arbeiten aus dem Gebiete der Stereoskopie und seine Ergebnisse zusammenfassend in einem kleinen Buch nieder (Sir David Brewster, The Stereoskope, its History, Theory and Construction, London 1856, bzw. Das Stereoskop, seine Geschichte, Theorie und Construction. Aus dem Englischen von Dr. Chr. Heinr. Schmidt, Weimar 1857). Wenn auch diese zeitgenössische Übertragung den behandelten Stoff wohl wegen seiner Schwierigkeit nicht an allen Stellen ganz eindeutig wiedergibt, so ist doch die Feststellung erfreulich, daß das wertvolle Buch Brewsters sogleich eine deutsche Übersetzung erfahren hat. Bei den im Folgenden gegebenen Seitenhinweisen bezieht sich die erste Zahl auf die englische, die zweite auf die deutsche Ausgabe.
Brewster schreibt über die von ihm angegebene „Binoctilarkamera" (an genannter Stelle S. 145 bzw. S. 134, gekürzt)

„Dieses Instrument unterscheidet sich dadurch von der gewöhnlichen Camera, daß es zwei Linsen von gleicher Öffnung und Brennweite hat, um zugleich das Bild der sitzenden Person aus der Entfernung von 6 Fuß, oder aus irgend einer anderen Entfernung gesehen, aufzunehmen. Da es unmöglich ist, zwei Linsen entweder einzeln oder achromatisch zu schleifen und zu poliren, so daß sie genau dieselbe Brennweite haben, selbst wenn wir dasselbe Glas für beide haben, so muß man eine gute Linse halbiren und die zwei Halblinsen, in runder Form geschliffen, tun Bilder genau derselben Größe und Begrenzung zu erhalten, anwenden.
Seit der Bekanntmachung meiner Beschreibung der doppeltäugigen Kamera im Jahr 1849 ist ein ähnliches Instrument in Paris von dem Photographen Herrn Quinet in Vorschlag gebracht worden, der ihm den Namen Quinetoskop gab. Ich habe diese Camera nicht gesehen, aber aus der folgenden Erwähnung derselben vom Abbè Moigno scheint sie von der meinigen nicht verschieden zu sein:

„Wir haben uns sehr gewundert und gefreut, in dem Quinetoskop die doppeltäugige Kammer unseres Freundes Sir David Brewster wiederzufinden“. Indem der Abbe fortfährt, von Quinets Camera zu sprechen, findet er sich veranlaßt, die sogenannte Limitation des Instruments auf folgende Weise ungerecht zu tadeln:

„Mit einem Wort, dieser nette Apparat ist so gut construirt, als er es nur sein kann, und wir wünschen sehr, daß er sich hinlänglich verbreite, um Herrn Quinet für seine Geschicklichkeit und seine Mühe zu belohnen. Angewendet in den vorher festgesetzten Grenzen durch seinen eigentlichen Erfinder Sir David Brewster , das heißt angewendet, um Gegenstände von kleiner und mittlerer Größe wiederzugeben, wird er auch schöne Resultate liefern. Er kann offenbar nicht benutzt werden und wird nicht die gewünschte stereoskopische Wirkung gewähren, wenn man ihn auf sehr große Gegenstände, auf Vedutten oder Landschaften anwenden will, aus einer sehr großen Entfernung aufgenommen; aber er teilt dieses mit allen menschlichen Werken, daß er sehr beschränkt ist. "

Moigno zielthierbei auf die damals allgemein gültigen Angaben, wie weit voneinander getrennt man zur Erzielung des stereoskopischen Eindrucks die beiden ursprünglich verwendeten Einzelkammern aufstellen müsse, um besonders auch bei ganz nahe befindlichen Objekten, also z. B. beim Porträtieren, einen guten räumlichen Eindruck zu erhalten. Brewster selbst nimmt hierzu Stellung:

„Dieser Tadel über die beschränkte Anwendung der Camera ist ganz unrichtig; und es wird einleuchtend gemacht werden, daß die doppeltäugige Kammer für Gegenstände von allen Größen und von allen Entfernungen gerade dasjenige darstellt, was wir sehen, und daß andere Methoden, die als vorzüglich gepriesen worden sind, unrichtige und falsche Bilder liefern, für den Zweck, ein in Schrecken setzendes Relief hervorzubringen."


Wortstreit mit einigen Gegnern.

Brewster hat als Erster die Zweiobjektivkamera mit festem Objektivabstand angegeben und trat für sie fast ohne Einschränkung ein, begründete seine Ansichten und widersprach den Äußerungen Andersgesinnter. So hatte z. B. A. F. I. Claudet, ein in London ansässiger französischer Photograph mit optischen Kenntnissen, für die stereoskopische Aufnahmepraxis die Regel geprägt, das Bild müsse abhängig von „Geschmack und artistischer Täuschung" entstehen. Brewster hält diesem entgegen: „Keine wissenschaftliche Frage kann eine Sache des Geschmacks und keine Täuschung, welche eine falsche Darstellung der Natur ist, kann eine künstlerische sein." Alle Tabellen, in welchen angegeben werde, unter welcher Winkelung die Einzelkamera bei den beiden nacheinander erfolgenden Aufnahmen auf das Objekt zu richten sei, nennt Brewster „unbrauchbar zum photographischen Porträtieren". Sonst entstünden wohl Bilder der sitzenden Person, aber in einer Art, wie sie noch niemand gesehen hat oder überhaupt sehen kann, wenn er nicht seine Augen 20 Zoll weit auseinander ziehen könne. Es entstehe das Bild einer lebenden Puppe, an welcher Teile gesehen werden, die man in Wirklichkeit niemals von einem Standpunkt aus sehen könne.

Brewster setzt sich auch auseinander mit Wheatstone, welcher die Kamerawinkelung abhängig sein lassen will „von der Entfernung des doppeltäugigen Bildes im Stereoskop von den Augen des Betrachters".

Als Folgerung aus diesen und anderen Auseinandersetzungen (an gen. Orte S. 147-155, bzw. S. 137-145) faßt Brewster zusammen:
„Aus diesen Discussionen werden unsere Leser bemerken, daß die Wissenschaft, wie auch die Kunst der doppeltäugigen Porträtirung für das Stereoskop in einem Übergangszustande sich befindet, in welchem sie nicht lange bleiben können. Der Photograph, welcher mit einer sehr großen Linse arbeitet, wählt einen Winkel, welcher die am Wenigsten ungünstigen Resultate gibt; sein Rival mit einer Linse von geringerer Größe wählt nach demselben Grundsatze einen anderen Winkel; und das Publicum, welches das Resultat nicht zu beurtheilen hat, ergötzt sich an ihren Reliefbildern, und wenn die Nasen derselben entweder aus dem Antlitz hervorgehoben oder auf ihren Wangen breit gedrückt sind, oder wenn ein Arm, oder ein Glied aus dem Gelenk zu entweichen droht, so ist das Publicum versichert, daß der Tadel der Natur, nicht aber der Kunst zukomme."

Nur „wenn man wünscht, einen größeren Grad des Reliefs zu haben, als wir mit unsern beiden Augen erlangen, indem wir entweder colossale Bildsäulen, oder Gebäude, oder Landschaften betrachten, wo die Abweichung von der Natur nicht, wie beim menschlichen Antlitz den Ausdruck afficirt, oder der Wirkung Nachtheil bringt, muß man die Entfernung der Linsen in der doppeltäugigen Camera, oder den Richtungswinkel der gewöhnlichen vergrößern."
Und so schließt Brewster diese Abrechnung mit den Gegnern seiner Kamera, indem er zusammenfaßt:

„Wenn man nicht ein vergrößertes Relief oder irgendeinen speciellen Zweck erreichen will, müssen Landschaften und Gebäude mit der normalen doppeltäugigen Camera, das heißt mit ihren Linsen von 2 1/2 Zoll Entfernung aufgenommen werden. Scenerie jeder Art, sowohl malerische, als erhabene, kann nicht prächtiger oder größer gemacht werden, als sie von den Reisenden erblickt wird. Ein künstliches Relief hinzuzufügen, ist nur ein Kunststückchen, welches den gemeinen Mann in Staunen versetzen, aber den Liebhaber der Wahrheit in der Natur und Kunst nicht ergötzen kann."

Brewster besaß auch einen gewichtigen Fürsprecher seiner Kamera; so schreibt Robert Hunt (A Manual of Photography, 1853, S. 308; ebenso 1854, S. 309) : „Will man photographische Bilder (Stereoaufnahmen) mit mathematischer Genauigkeit erhalten, so muß man eine Binocular-Kamera bauen, welche die Bilder gleichzeitig und in gleicher Größe liefert; das ist eine Kamera mit zwei Objektiven gleicher Öffnung und Brennweite, angeordnet in gleichem Abstand wie zwei (menschliche) Augen."

Es ist wirklich bemerkenswert, daß viele Jahre lang gleichzeitig beide Richtungen der stereoskopischen Aufnahmetechnik, also weiter Objektivabstand unter Winkelung der optischen Achsen und zweiäugige Kamera nebeneinander bestanden und Verteidiger fanden. So gibt auch Hunt noch (an gen. Orte 1854, S. 309 ff.) alle Angaben wieder, die wir vorher kennengelernt hatten und die bei Nahaufnahmen zur Erzeugung unerträglich überplastischer Bilder führten.


Erste Versuche, die doppeltäugige Kamera zu ersetzen.

Brewster selbst suchte in seinem Buche gewissermaßen die Wege zu ebnen, um der zweiäugigen Kamera die Einführung zu erleichtern. So macht er den Besitzern einer gewöhnlichen Kamera den Vorschlag, sie in zweiäugiger Arbeitsweise zu verwenden unter der Voraussetzung, daß der Objektivdurchmesser 2 1/2 bis 3 Zoll betrage. In diesem Falle könne es- für den Photographen von Nutzen sein zu erfahren, wie sich eine solche Kamera in ein doppeltäugiges Instrument verwandeln lasse. (S. 157 bzw. S. 148.) Er rät, in den Objektivdeckel zwei Öffnungen zu bohren von je 2/10 Zoll Durchmesser, den Deckel so auf das Objektiv zu setzen, daß die Verbindungslinie der beiden Öffnungen waagerecht verlaufe, dann die zu photographierende Person zuerst durch die eine, darauf durch die andere Öffnung aufzunehmen und zwischen beiden Aufnahmen die Platte in genügendem Maß seitlich zu verschieben. „Diese Bilder werden gute doppeltäugige Porträts sein, welche sich für jedes Stereoskop eignen. Wird ein größeres Relief verlangt, so läßt sich dieses mit größeren Linsen erzielen, indem man die beiden Öffnungen in die größte Entfernung bringt, welche der Durchmesser der Linse gestattet."

Ich kann nicht entscheiden, ob dieses sicherlich wenig günstig zu beurteilende „Ersatz"verfahren von Brewster selbst stammt; denn es wurde bereits im Jahre 1855 von G. Normann veröffentlicht (Bulletin de la Soc. Franc. de Photogr., 1. 1855, S. 312) und damals als völlig übereinstimmend mit Angaben von Gaudin aus dem Jahre 1851 bezeichnet.
In jene Zeit fallen auch die Versuche des Professors F. A. Barnard, photographische Stereobilder „gleichzeitig auf derselben Platte und mit einer gewöhnlichen Kamera" anzufertigen (Dinglers Polytechnisches Journal, 135, 1855, S. 440; auch abgedruckt in Brewsters Buch, deutsche Ausgabe S. 229). Barnard gab wohl als Erster einen Spiegelvorsatz an, welcher gestattet, beide Stereoteilbilder mittels eines Objektivs auf der gleichen Negativschicht nebeneinander aufzunehmen. Heute sind uns derartige Hilfsmittel, die unmittelbar auf das Objektiv aufgesetzt werden, völlig geläufig. Barnards Erfindung bestand darin, daß er dem Objektiv gegenüber zwei durch ein Scharnier verbundene Glasspiegel aufstellte, in welchen sich das seitlich rückwärts neben der Kamera befindliche Objekt spiegelt. Die beiden Spiegel wurden in eine solche Winkelstellung gebracht, daß sie auf der Mattscheibe die Stereoteilbilder nebeneinander entstehen ließen. Der Erfinder dieser Einrichtung hielt die stereoskopischen Ergebnisse nach seinem Verfahren für besser als die Bilder aus einer Zweiobjektivkamera, weil er auf optischem Wege die Bildvertauschung der Teilbilder erreichte, die bei unmittelbaren Kameraaufnahmen nachträglich vorgenommen werden mußte. Auch er lehnte die gewöhnlichen käuflichen Stereophotographien ab, da deren Relief „auf grobe Weise übertrieben sei, weil die Verfertiger dieser Bilder Gesichtspunkte annehmen, die viel zu sehr voneinander abweichen". Bei seinem Verfahren bestand diese Gefahr nicht.


Die fabrikmäßige Herstellung der Zweiobjektivkameras.

Brewster hat als Erster im Jahre 18-19 die stereoscopische Zweiobjektivkamera angegeben und ist richtungweisend für deren Verwendung eingetreten. Wie seine Kamera aussah, können wir nach einer Abbildung jener Zeit feststellen (H. de La Blanchere, Monographie du Stereoscope, Paris, 1862, S. 157). Es war ein einfacher Holzkasten, bestehend aus zwei ineinanderschiebbaren Teilen, wohl nur wenig verbessert gegenüber der alten Daguerrekamera; die Auszugslänge war veränderlich wie in jener, indem man den inneren Kasten aus dem äußeren bis zur Mattscheibenbildschärfe herauszog. Die Stirnwand trug zwei fest aufgeschraubte Objektive gleicher Größe und Bauart. Vielleicht ist an irgendeiner Stelle noch eine solche (Abb. 4 ) Kamera zu finden.

Im Folgenden werden, nach Erzeugungsländern geordnet, einige dieser, den Brewsterschen Forderungen entsprechende Kameras aufgeführt, selbstverständlich nur in einer Auswahl; denn es ist nicht möglich (und auch nicht wichtig), allen diesen, die Stereoaufnahme prinzipiell verbessernden Geräten im Einzelnen nachzuspüren. Als spärliche Quelle zu diesem Nachweis dienen die Veröffentlichungen jener Jahre, die nur in wenigen Stücken erhalten gebliebenen Preislisten der Händler und Hersteller von Photogeräten aus jener Zeit und das Vorkommen solcher Kammern in öffentlichen und privaten Sammlungen.


England und Amerika.

„The Liverpool Photographic Journal" machte am 14. I. 1854 die Neukonstruktion einer Zweiobjektivkamera bekannt (S, 1):
„A. Abraham & Co. in Liverpool kündigen den Photographen an, daß sie gerade eine neue stereoskopische Kamera hergestellt haben, die brauchbar ist für Ansichten und Porträts und bei der beide Bilder auf einem Glas aufgenommen werden in kürzerer Zeit und mit größerer Leichtigkeit als bei dem üblichen Verfahren und die Möglichkeit eines Irrtums, wie sie beim Montieren zweier Bilder besteht, vermieden wird. Preis komplett mit einer doppelten Kombination von achromatischen Linsen, versehen mit Gestell und Getriebe £ 315."
Dieses Angebot ist das früheste, von mir nachweisbare und am gleichen Ort erschienen, an welchem gleichzeitig über das französische „Quinetoscop" (siehe später unter „Frankreich") berichtet wurde.

John Joseph Griffin, Photohändler und wohl auch Fabrikant in London, bot in einem ausführlichen Katalog photographischer Apparate Schiebebrett zur Herstellung von Stereoaufnahmen an. Dieser Firma war also in diesem Jahr die stereoskopische Doppelkamera noch ungeläufig. (Zwei Jahre vorher enthielt ihr Katalog noch keinen Hinweis auf Stereoapparate.)

Drei Jahre später, im Jahre 1857, lieferte die Londoner Firma Brand and Long Stereokameras mit zwei Objektiven in drei verschiedenen Bildgrößen im Preis bis zu £ 6/6. Nach einer dem Angebot beigefügten Abbildung stimmte eine solche Kamera überein mit der in Abb. 5 gezeigten des Berliner Forschungsreisenden Dr. Fedor Jagor, wie er sie im Jahre 1857 im östlichen Asien verwendete (Sammlung Stenger).

Der englischen Ausgabe von Brewster's Buch (1856) ist eine umfangreiche Preisliste der „London Stereoscopic Company" beigebunden, in welcher unter den angebotenen Stereokameras keine solche mit zwei Objektiven zu finden ist.

Eine Preisliste ans dem Jahre 1857 von J. F. Shew in London bietet eine Einobjektivkamera auf einer verstellbaren Platte (Latimer Clarke's principle) und eine Zweiobjektivkamera nach dem Brewster-Typ von 1849 an. (The British Journal of Photography, 84, 1937, S. 32).

In dem bekannten Werk von A. Liebert, La Photographie en Ameriyue, 1864 (S. 280 u. ff.) wird das Einkameraverfahren mittels Verschiebung der Kamera und Aufnahme mit zwei Einzelkammern empfohlen und durch Abbildung dieser Geräte erläutert; von einer Zweiobjektivkamera ist in diesem Bericht über die Ausübung der Photographie in Nordamerika nicht die Rede.


Frankreich.

Was in Brewster's Buch über das „Qtiinetoscop" zu lesen ist, wurde bereits an früherer Stelle mitgeteilt. Daß sich diese Angaben auf die Jahreswende 1853;!54 beziehen, können wir der schon mehrmals erwähnten Zeitschrift „The Liverpool Photographic Journal" vom 14. Januar 1854 entnehmen. In diesem Heft findet sich ein Sitzungsbericht der Liverpooler Photographischen Gesellschaft vom 3. Januar 1854, in welcher eine Kamera zur gleichzeitigen Aufnahme von zwei Bildern mit zwei Objektiven beschrieben wurde, „die in Paris erfunden war. Sie wurde Qtiinetoscop' genannt." (Siehe auch: The British Journal of Photography, 51, 1904, S. 480.)
Im großen Preisverzeichnis der Pariser Firma Charles Chevalier aus dem Jahre 1858 wird eine Stereokamera mit 2 Objektiven und vielem Zubehör für 220 frs. angeboten.
Es ist für den Leser vielleicht aufschlußreich, zum Vergleich auch eine stereoskopische Doppelkamera jener Zeit im Bilde zu sehen; in Abbildung 6 ist eine solche Doppelkamera, ebenfalls aus dem Besitz des Dr. Jagor, wiedergegeben, die von der Firma Koch in Paris, Rue St. Antoine, hergestellt war und mit Objektiven der Firma Jamin in Paris ausgerüstet ist (Sammlung Stenger).

Österreich.

Bereits in seinem „Preis-Courant" Nr. 1 vom August 1854 bietet Wilhelm Horn in Prag, der Begründer und Herausgeber des in Leipzig verlegten „Photographischen Journals", der ersten deutschsprachigen Photozeitschrift, an: „Doppelobjektiv mit Trieb gefaßt und gleichem Focus, um zwei Bilder für das Stereoskop zugleich aufnehmen zu können."

Horn benötigte eine Lieferzeit von vier Wochen, weil diese optische Einrichtung aus Paris bezogen werden mußte. Da in der erwähnten Liste auch Geräte der Firma Quinet genannt werden, war das Doppelobjektiv vielleicht gleichen Ursprungs.

Horn selbst setzte sich vorbehaltlos für die Brewster'schen Aufnahmebedingungen, d. h. für die Zweiobjektivkamera mit einem Abstand der beiden Objektive gleich dem Augenabstand ein. In einem ausführlichen Bericht über das Stereoskop (Photogr. Journal, 3, 1855, S. 44, 51, 67, 75) gibt er Beispiele plastisch verfehlter Aufnahmen bei erweitertem Objektivabstand: „Wir Menschen sind vom Schöpfer darauf angewiesen, alle Gegenstände in der Natur als Körper dadurch zu erblicken, daß wir in unseren 2 1/2 Zoll entfernten Augen-Kameras zwei verschiedene Bilder derselben erblicken; ... so müssen die zwei Bilder, welche uns in unseren Augen körperlich erscheinen, durch zwei Objektive erhalten worden sein, welche 2 1/2 Zoll von einander entfernt waren."
Im Januar 1856 (an gleichem Orte, 5, S. 15) schildert Horn ausführlich einen „Doppel-Stereoscop-Apparat" nach seiner Auffassung, erwähnt die Mängel der Einzelaufnahmen und bietet an:
„Stereoskop-Apparat mit zwei gleichen convergirenden achromatischen Doppelobjectiven in einer Camera, um stereoscopisch vollkommen richtige Doppel-Portraits mit einer Belichtung zugleich zu erzeugen, samt Camera und Cassetten. 60 Rthlr."

„Zur Anfertigung von Porträten hat Weingartshofer in Wien einen Apparat mit zwei Objektiven konstruirt, deren Linsen gleich großen Durchmesser und Brennweite haben, und bieten daher gegen den französischen mit einem Objectiv, welcher zur Porträtaufnahme verwendet wird, den Vortheil, daß zu gleicher Zeit beide Bilder sich erzeugen, wodurch die Sitzung verkürzt, und jene gleichmäßig kräftig und scharf werden müssen. Zur Landschaftsaufnahme hat Weingartshofer nur ein Objectiv mit verschiebbarer Camera" (R. Marneau, Die nettesten Erfahrungen und Verbesserungen im Gebiete der Fotografie, 1856, S. 22). Weingartshofer muß also sicherlich im Jahre 1855 eine Zweiobjektivkamera gebaut haben, vielleicht auch schon früher.


Deutschland.

Die bekanntesten Firmen, die sich mit der Herstellung photographischer Objektive und mit dem Kamerabau beschäftigten, waren im sechsten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts: Emil Busch in Rathenow; Voigtländer & Sohn in Braunschweig (und Wien) ; Eduard Liesegang in Elberfeld. Über diese und einige andere soll im Folgenden berichtet werden:

In Emil Buschs „Preis-Courant" vom Februar 1856 wird eine Kamera mit 2 Köpfen zur Aufnahme von Stereoskop-Bildern zum Preise von 50 Thlr. angeboten mit folgendem Hinweis:
„Diese Camera gewährt den Vortheil, beide Bilder eines Stereoskops mit einem Male und zwar auf einer Platte zu machen, wodurch man auf eine einfache und leichte Weise gute Stereoskop-Bilder erzeugt."

In dem im Juni 1857 herausgegebenen „Preis-Courant der Photographie-Apparate" bietet die Firma Emil Busch vier verschiedene Stereo-Aufnahmekameras mit Doppelobjektiven an, auch mit solchen, die „durch Zahn und Trieb von einander entfernt werden können". In der Beschreibung heißt es unter anderem:

„Das gleichzeitige Offnen der Objectiv-Deckel ist bei den Stereoscop-Apparaten durchaus nothwendig, daher die beiden Deckel mit einer Verbindungsstange versehen sind, mittelst welcher man im Stande ist, beide in demselben Augenblick zu öffnen und nach der Einwirkung des Lichtes genau zu gleicher Zeit wieder zu schließen. An den Apparaten, bei denen die Köpfe durch Zahn und Trieb auseinander bewegt werden, öffnet man erst die Deckel und lüftet, bevor man die Entfernung der Köpfe durch die Triebbewegung ändert, die Schraubenmutter auf dem Schlitz der Verbindungsstange. Hat man die richtige Entfernung gefunden, so schraubt man die Schraubenmutter wieder fest."

Eine besondere ausführliche Beschreibung liefert der umfangreiche „Preis-Courant" vom Dezember 1859 der gleichen Firma (hier gekürzt wiedergegeben):

„Apparate zur Aufnahme von Stereoscop-Bildern“.
Stereoscop-Apparate werden sehr verschieden construirt. Die ältesten bestanden aus zwei Cameras, welche in einer gewissen Entfernung von einander aufgestellt wurden. Mit einem solchen Apparat konnte zwar die Exposition zu ein und derselben Zeit, nicht aber auf ein und derselben Platte geschehen. Da indeß die beiden Bilder eines Stereoscops eine gleichmäßige Entwicklung zeigen müssen, so bleibt das Präpariren einer einzigen Platte wichtiger als die Exposition zu ein und derselben Zeit. Der vollkommenste Stereoscop-Apparat ist unzweifelhaft derjenige, welcher die beiden Bilder auf einer Platte und zu gleicher Zeit hervorbringt. Dies bedingt die Anwendung einer Camera, jedoch mit zwei Köpfen, die, wegen ihrer kurzen Entfernung von einander, und um den Aufnahme-Winkel nicht zu klein und unwirksam für das Stereoscop zu machen, Portrait-Köpfe mit prismatisch geschliffenen Objectiven sein müssen. Je näher sich der Gegenstand dem Apparat befindet, desto größer ist der Aufnahme-Winkel; für sehr entfernte Gegenstände, wie Landschaften, Architecturen etc., würde der letztere zu klein werden, daher die Vereinigung der erwähnten beiden Eigenschaften nur bei einem Portrait-Apparat möglich ist."

Unter „Köpfen" verstand man selbstverständlich die Objektive. Und so konnte angeboten werden:
„Stereoscop-Camera mit zwei durch Zahn und Trieb von einander zu entfernenden Köpfen mit zwei Expositionsrahmen zur Aufnahme von akademischen Bildern oder Portraits auf Silberplatten oder Glas 52 Thlr."

Dr. Julius Schnauß bespricht in seinem 1860 erschienenen „Photographischen Lexikon" die damals gebräuchlichen Stereo-Aufnahmeapparate ausführlich (S. 55 - 59) und schreibt, nachdem er die seitlich verschiebbare Einzelkamera und ihre perspektivischen Fehler behandelt hatte:

„Die wissenschaftlich correcte Form der stereoskopischen Cameras ist die, bei welcher die Achse des Instruments immer ihren Parallelismus bewahrt, so daß die beiden Bilder auf derselben Ebene aufgenommen sind. Bei kleinen Bildern, wo die Aufnahmestellungen nahe beisammen liegen, kann man dies sehr gut bewirken, indem man zwei Cameras in eine verbindet und beide Bilder auf derselben Platte aufnimmt. Ein großer Vortheil ist dabei noch, daß beide Bilder mit einem Male aufgenommen werden können, da es nicht möglich ist, Objecte, die sich rasch bewegen, auf eine andere Weise aufzunehmen. Dieses Doppelinstrument (die doppellinsige stereoskopische Camera oder von Einigen unrichtig die Binocular-Camera genannt) ist daher in jeder Beziehung das wissenschaftlich geeignetste Instrument, das zur Aufnahme von stereoskopischen Bildern angewendet werden kann. Die beste deutsche Construction der Stereo-Camera ist wohl die von Busch in Rathenow angegebene."
Und nun bringt Schnauß wörtlich die obenstehende Schilderung aus dem Busch- Katalog vom Dezember 1859.

Eine große Preisliste der Firma Voigtländer & Sohn in Braunschweig (u. Wien) vom Dezember 1857 und ebenso vom Mai 1859 verzeichnete keine Stereokamera; es scheint also von dieser Werkstätte die Fabrikation entsprechender Apparate erst nach der für uns wichtigen Zeit aufgenommen worden zu sein.

Im „Siebenten Preis-Courant über photographische Apparate" des Photographie-Instituts von Eduard Liesegang in Elberfeld, erschienen 1860, werden (S. 9) „Complette Apparate zum Aufnehmen von Stereoskopbildern" angeboten, bestehend aus

1 Doppelcamera mit 2 Objectivs":

1. für Porträts                        Rthl . 24,
2. für Landschaften                    Rthl. 22,
3. für Porträts und Landschaften          Rthl. 40,
4. Quinetoskop für Porträts u. Landschaften Rthl. 50,

Unter „Doppelkamera" ist zweifellos eine Zweiobjektivkamera zu verstehen. Aus der Liste geht hervor, daß Liesegang auch das französische Quinetoskop verkaufte.

Paul E. Liesegang schildert in seinem „Handbuch der Photographie auf Collodion" (3. Aufl. 1861, S. 148) eine besondere Aufnahmekamera des Liesegang'schen Instituts:

„Ein Stereoskop-Apparat, der in neuester Zeit von demselben (Liesegang'schen) Institut construirt wird, dient zum Aufnehmen augenblicklicher Bilder. Die Lichtwirkung desselben ist so rasch, daß sich die Wogen des Meeres scharf und plastisch damit wiedergeben lassen; eigenthümlich ist es, daß trotzdem die Bilder nicht die geringste Verzeichnung zeigen. Man kann daher auch belebte Plätze und Straßen damit aufnehmen, in denen jede Figur, Reiter und Wagen deutlich zu erkennen sind. Diese Apparate repräsentiren einen der größten Fortschritte der Photographie."

Die Firma Friedrich Manecke in Leipzig bot in ihrer Preisliste vom Januar 1860 an:

Stereoskop-Apparat, bestehend aus zwei Doppelobjektiven nebst Camera48 Thlr.

Die Firma hatte die „alleinige Niederlage Kranz'scher photographischer Apparate", einer Fabrik, die mir an anderer Stelle nicht begegnete.

Daß die in Braunschweig heimisch gewordene optische Industrie sich in jenen Jahren auch der Herstellung von Stereokammern zuwandte, beweisen Anzeigen der dortigen Firma I. C. W. Häring aus dem Jahre 1862. Noch manche andere Hersteller aus anderen Orten könnten genannt werden.

Einführung der Zweiobjektivkamera.

Es ist unbestritten, daß David Brester der Erfinder der stereoskopischen Zweiobjektivkamera ist. Auch Georges Potonièe schreibt, dass Brewster um 1849 eine Stereokamera mit zwei Objektiven ersonnen habe. Quinet habe einige Jahre später die Erfindung Brewsters nacherfunden und mit Eifer und Erfolg seine vermeintlichen Erstrechte verteidigt (Histoire de la Decouverte de la Photographie, 1925, S. 290).

Die auch in England neuerdings wieder aufgeworfene Frage, wer zuerst eine Zweiobjektivkamera in den Handel gebracht hat, scheint in der Richtung beantwortet werden zu können, daß Brewster als Erfinder sicherlich bereits im Jahre 1849 sich ein Gebrauchsmodell zu seinen eigenen Arbeiten geschaffen hat, daß jedoch fabrikmäßig hergestellte Apparate dieser Art erst in den Jahren 1853 und 1854 zum Verkauf gekommen sind. Das Quinetoskop ist als wohl unbewußte Nacherfindung gegen Ende des Jahres 1853 in Paris nachgewiesen und sicher auch im Verkauf gewesen. Das früheste bekannt gewordene Angebot einer Zweiobjektivkamera ist dasjenige der Firma A. Abraham & Co. in Liverpool, welches am 14. Januar 1854 in „The Liverpool Photographie Journal" erschienen ist. Auch diese Kamera muß bereits am Schluß des Jahres 1853 hergestellt worden sein. Da sie in England angeboten wurde, so ging diese Konstruktion möglicher Weise auf Brewster's Angaben aus dem Jahr 1849 zurück. Daß ein Zusammenhang mit dem französischen Quinetoskop bestanden hat, läßt sich aus den vorhandenen spärlichen Angaben nicht folgern.

Das Preisangebot von W. Horn in Prag vom August 1854 enthält ein Doppelobjektiv, um Bilder für das Stereoskop gleichzeitig aufnehmen zu können. Horn lieferte Pariser Ware, vielleicht ein Erzeugnis des Optikers Quinet.

Das erste deutsche Angebot, welches ich nachweisen konnte, stammt vom Februar 1856 und kam von Emil Busch in Rathenow. In der Folgezeit mehrten sich die Angebote.

Es scheint also seit der Erfindung Brewsters ein Zeitraum von etwa fünf Jahren nötig gewesen zu sein, bis sich die wohlbegründete Zweiobjektivkamera ihren Weg gebahnt hatte, und das in einer Zeit, in welcher die Menschheit mit Stereobildern in reichlichstem Maße bedacht worden ist. Und so hat es scheinbar der Nacherfindung Quinets bedurft, um Brewsters Erfindung zur Einführung zu bringen.

Das erste Auftreten der Zweiobjektiv-Stereokamera im Handel fällt zusammen mit einem Wendepunkt der allgemeinen photographischen Arbeitsweise; denn in jenen Jahren (ab 1852) wurde die stets nur ein Einzelbild auf einer Metallplatte erzeugende Daguerreotypie durch das Kollodiumverfahren verdrängt, welches Glasnegative schuf, von denen beliebig viele positive Glas- oder Papierbilder abgezogen werden konnten.

Jene und die folgenden Jahre waren das Zeitalter der Stereoskopie, sogar der Stereoskopomanie; die durch die Zweiobjektivkamera vereinfachte Negativherstellung, die durch diese Kamera unterdrückte Überplastik und die durch das Kollodiumnegativ möglich gewordene verbilligte Herstellung zahlloser Kopien verschafften dem Stereobild eine heute nicht mehr vorstellbare Verbreitung (Abb. 7).

Es ist möglich, daß noch an mancher Stelle unbeachtet eine Zweiobjektivkamera frühester Form ruht und vom Besitzer in Unkenntnis dieser für die Entwicklung der Stereophotographie wichtigen Bauart nicht beachtet wird. Nur wenige Nachweise solcher Geräte sind mir gelungen.
In der Sammlung Stenger befindet sich das in Abb. 5 wiedergegebene, zweifellos sehr frühe und nachweislich 1857 in Ostasien verwendete Gerät.

Das Deutsche Museum in München bewahrt eine der vorgenannten ähnliche Kamera (Mus.Nr. 30 928), die mit zwei Objektiven des Optikers Alexis Millet in Paris (Fahr.-Nr. 2029 und 2030) ausgestattet ist und entsprechend der Objektivbezeichnung aus dem beginnenden sechsten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts stammen kann.

Noch später ist eine Kamera gebaut, die sich im Besitz meines „Instituts für angewandte Photochemie" an der Technischen Hochschule in Berlin befindet. Diese Kamera ist bereits mit Laufbrett und Trieb zur Scharfeinstellung ausgestattet, besteht jedoch noch aus zwei in einander verschiebbaren Holzkästen; ihre Herkunft ist durch das Firmenschild „J. H. Dallmeyer in London" ausgewiesen; die gleiche Bezeichnung haben auch die Objektive, die die Nummern 11 925 und 11 926 tragen. Die Firma Dallmeyer ist erst Ende des Jahres 1859 entstanden; die genannten Objektivnummern dürften nicht vor 1865 erreicht worden sein.


Schlußwort.

Der dem Brewster'schen Buche des Jahres 1856 beigeheftete Katalog der „London Stereoscopic Company" zählt auf 14 engbedruckten Seiten unzählige stereoskopische Bildreihen auf; der Mechaniker und Optiker Julius Loebel in Dresden pries im Jahre 1857 eine Auswahl von 1000 Bildern auf Glas, Silberplatten und Papier an, enthaltend Ansichten aus allen Teilen der Erde, sowie akademische Bilder nach lebenden Pariser Modellen (s. a. Stenger, Das Raumbild, 1. 1935, S. 279) ; der in wenigstens 50 Ausgaben erschienene Katalog des Kunstverlages von S. P. Christmann in Berlin bot seitenweise Stereoskopbilderreihen eigener und fremder Herstellung an. Diese Beispiele mögen zur Kennzeichnung der Glanzzeit der Stereoskopie, der Zeit der Stereoskopomanie dienen. Viele dieser Bilder, wenigstens derjenigen auf Papier, sind erhalten geblieben; alle aus jener frühen Zeit leiden an der unnatürlichen Oberplastik, welche die lebenden Modelle verzerrt und als Gliederpuppen (wie Brewster sich 1849 ausdrückte) erscheinen läßt und den toten Vorlagen das Gepräge eines kleinlichen Puppentheaters gibt.

Die große Masse empfand diese Stereoverirrung nicht, im Gegenteil, sie ergötzte sich an dem Übermaß des Gebotenen, an der übertriebenen Wirkung. Und gerade hierin mag auch ein Grund zu finden sein, warum Brewster's Aufnahmekamera Jahre brauchte, um schüchtern und verzagt in Erscheinung zu treten, trotzdem sie die stereoskopische Aufnahme wesentlich erleichterte - nicht nur verbesserte - und trotz gewichtiger Stimmen, die für Verbesserung des in Massen Gebotenen eintraten. So beschwerte sich auch Charles Chevalier, der Mitschuldige maßlos übertriebener Plastik, im September 1859:

„Stereoskopie ist Trumpf! Es regnet Bilder, man wird von ihnen überschwemmt, täglich sieht man neue Proben, aber man muß suchen, um gute, die selten sind, zu finden." Und indem er klagt, das Stereoskop werde sogar zum billigen Kinderspielzeug herabgewürdigt, stellt er fest, daß „dieses niedliche kleine Instrument außerordentlich interessant hätte werden können, wenn es nicht in seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Laufbahn durch schlechte Herstellung aufgehalten und wertlos geworden wäre". (Methodes Photographiques Perfectionnees, 1859, S. 172.)

Aus DAS RAUMBILD 3. Jahrgang, Heft 6 und 7 vom 15. Juni/Juli 1937. (© Text überarbeitet von D. Schulte)