Ein Schritt Vorwärts, ein Ruf zur Sammlung und Mitarbeit!

Die Zahl der Stereoskopiker ist im Verhältnis zu der der Flachbildphotographen eine zwar immer noch sehr kleine, aber doch nicht so unbedeutend, daß die stiefmütterliche Behandlung, die ihnen namentlich vonseiten der Photoindustrie mit wenigen Ausnahmen zu teil wird, dadurch gerechtfertigt wäre. Wenn man sich vor Augen hält, welch hervorragende Rolle die Stereoskopie heute überall da spielt, wo es sich um Vermittlung einer klaren und eindeutigen Raumanschauung handelt, also vornehmlich in Wissenschaft, Technik, Luftbildwesen etc., so muß man staunen, daß trotz seiner großen Vorzüge das Raumbild noch nicht weiter in den großen Kreis der Liebhaberphotographen eingedrungen ist. Den Hauptgrund für diese bedauerliche Tatsache erblicke ich in dem Mangel eines allgemeinen Zusammenschlusses aller Stereofreunde, dem Mangel an entsprechenden Fachzeitschriften und einer svstematischen Werbetätigkeit in weitesten Volkskreisen. Es bestehen meines Wissens bisher auf der ganzen Welt nur 3 Vereinigungen, die sich mit der Pflege der Stereoskopie befassen: Als älteste der „Stereo-Club fran~ais" in Paris, 5, Rue du Clichy, dann seit 1927 die Deutsche Gesellschaft für Stereoskopie e. V., BerlinGrunewald, Salzbrunnerstraße 48 und seit 1928 die Österreichische Gesellschaft für Stereoskopie in Wien VIII, Albertgasse 33.

In Frankreich, wo die Stereoskopie am weitesten verbreitet ist, erscheinen 2 Fachzeitschriften: die „Stereo-Revue" und das „Bulletin du Stereo-Club fran~ais", beide monatlich und von ziemlich kleinem Umfang. In Deutschland befaßte sich das Organ der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie „Der Stereoskopiker", der als Monatsbeilage der „Photographie für Alle" erscheint, bisher allein mit der regelmäßigen Behandlung des Raumbildes.

Wenn man dem die ungeheure Zahl von Vereinigungen von Liebhaberphotographen (fast in jeder kleinen Stadt findet man heute einen Photo-Club oder Verein, die wiederum in großen Verbänden zusammengeschlossen sind) und die große Zahl gediegener Photozeitschriften gegenüberstellt, so erkennt man ohne Weiteres, daß diese einen machtvollen Falttor bilden, mit dem das Wirtschaftsleben und die einschlägige Industrie rechnen muß. Für die dagegen verschwindend kleine Zahl der Stereoskopiker, die meist noch unorganisiert alleinstehend für ihre Sache kämpfen und manches Vorurteil zerstreuen müssen, bleibt da nur wenig Interesse und Verständnis übrig.

So konnte es kommen, daß heute dem Flachbildamateur, die erstklassigsten mit neuzeitlichsten Mitteln der Optik und Präzisionsmechanik hergestellten Aufnahmekameras und Hilfsgeräte in einer fast unübersehbaren Auswahl und in allen Preislagen zur Verfügung stehen, während der Stereoskopiker sich mit veraltetem Handwerkszeug begnügen muß und am Gabentisch der Photoindustrie immer wieder leer ausgeht. Außer den teuren Präzisionsmodellen - Heidoskop, Stereflektoskop - die ihre Gestalt in den letzten 10 Jahren nicht mehr verändert haben, der neuen sehr preiswerten aber doch auch für gesteigerte Ansprüche wieder zu einfachen Eho-Box-Stereokamera, sowie der Kern'schen Kleinbild-Stereokamera, ist auf dem Photomarkt nichts für den Stereofreund erschienen. Es fehlt vollständig auch nur ein einziges Modell einer modern durchkonstruierten Rollfilmkamera mittlerer Preislage und in Deutschland wenigstens eine Stereokleinbildkamera nach Art der Leica oder ähnlich.

Unsere Hilfsgeräte sind mehr oder weniger veraltet. Es gibt eine Unzahl von hervorragenden Kleinbildvergrößerungs - Geräten für Einzelaufnahmen, es gibt aber immer noch nicht ein nach ähnlichen Grundsätzen gebautes und eine empfindliche Lücke ausfüllendes Stereokopiergerät, das das lästige Vertauschen der Teilbilder vermeidet, die Fensterrahmenwirkung leicht erzielt und auch kleinere Formate auf das Normalformat 6 x 13 kopiert.

Alle diese mannigfachen Wünsche lassen sich angesichts des bestehenden überwältigenden Einflusses des Flachbildes nur dann verwirklichen, wenn auch der Stereoskopiker nicht den Kampf um seine Anerkennung allein auf verlorenem Posten führt, sondern sich mit Gleichgesinnten zusammenschließt und sein bescheidenes Scherflein dazu beiträgt eine Organisation zu unterstützen, die für unsere gemeinsame Sache wirbt. Nur durch einen immer größeren Kreis von Anhängern erhält sie den Rückhalt und die erforderliche Stoßkraft, um an den maßgebenden Stellen unsere gemeinsamen Wünsche mit Nachdruck vertreten zu können. Schließt daher die Reihen, tretet ein in die bereits bestehenden Landesgesellschaften und gründet neue, wo solche noch nicht bestehen! Der nachstehende Auszug aus den Satzungen gibt einen kurzen Überblick über Zweck und Ziele der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie. Nach ihren Grundsätzen könnten wohl auch in anderen Ländern ähnliche Gesellschaften aufgezogen werden.

Den Kitt jeder Vereinigung bildet insbesondere für auswärtige Mitglieder stets eine Fachzeitschrift. Wenn auch, wie bereits erwähnt, in Frankreich und Deutschland eine Zeitschrift für Stereoskopie wenigstens in bescheidenem Rahmen besteht, so wird doch ganz allgemein das Bestehen eines alle Fragen der Stereoskopie in größerem Ausmaß behandelnden Organs schmerzlich vermißt. Es fehlt bisher das Blatt, das nicht nur dem Stereoamateur etwas bietet, sondern auch genügend Raum für die Behandlung der mannigfachsten Anwendungsgebiete und der damit zusammenhängenden Fragen zur Verfügung hat, das Blatt, das ein Sammelpunkt für alle Stereofreunde aus den verschiedensten Lagern darstellt. Dieser lang vorhandene Wunsch zahlreicher Stereofreunde soll nun endlich durch die vorliegende Zeitschrift DAS RAUMBILD in Erfüllung gehen. Alle Stereoskopiker können dem Verlag für die Verwirklichung dieses lang gehegten Wunsches, die von einem erfreulichen Optimismus und Zuversicht für die Zukunft der Stereoskopie zeugt, nur dankbar sein. DAS RAUMBILD wird sicherlich dazu ein gut Teil beitragen, die Sache der Stereoskopie weiter zu fördern, für sie zu werben und ihr zahlreiche neue Anhänger aus den verschiedensten Kreisen zu gewinnen. Wir alten Stereofreunde aber wollen den Verlag in seinen uns allen zugute kommenden Bestrebungen dadurch tatkräftig fördern helfen, daß wir die Zeitschrift nicht nur für uns halten, sondern auch in weitesten Freundes- und Bekanntenkreisen für sie werben und soweit wir selbst dazu in der Lage sind, sie durch gelegentliche Lieferung von literarischen Beiträgen unterstützen. Wir wünschen ihr eine gute Fahrt!

Dr. Ing. H. Lüscher, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie.

Aus DAS RAUMBILD 1. Jahrgang, Heft 1 vom 15. Januar 1935. Text überarbeitet von D. Schulte)